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Durch Worte, oder Welten, getrennt? Wittgensteins Verstaendnis religioeser Sprache

Durch Worte, oder Welten, getrennt? Wittgensteins Verstaendnis religioeser Sprache
Durch Worte, oder Welten, getrennt? Wittgensteins Verstaendnis religioeser Sprache
In den Erinnerungen an Ludwig Wittgenstein schreibt Norman Malcolm: „Ich glaube, dass es Wittgenstein möglich war, auf Grund seines eigenen Charakters und seiner Erfahrungen, die Idee eines richtenden und erlösenden Gottes zu begreifen. Aber jede kosmologische Konzeption einer Gottheit, abgeleitet aus den Begriffen der Kausalität oder der Unendlichkeit, wäre ihm unerträglich gewesen. Er hatte keine Geduld mit ‚Existenzbeweisen’ Gottes und mit dem Versuch, die Religion auf Basis der Vernunft zu gründen. Als ich ihm einmal einen in diese Richtung gehenden Gedanken Kierkegaards zitierte – ‚Wie kann es sein, dass Christus nicht existiert, nachdem ich weiß, dass er mich gerettet hat?’ – sagte Wittgenstein: ‚Siehst Du! Es hat nichts mit Beweisen zu tun!’“ Malcolm fährt fort: „Ich habe den Eindruck, dass Wittgenstein den religiösen Glauben als etwas betrachtete, das Charaktereigenschaften und Tugenden erfordert, die er selbst nicht hatte. Über Smythies und Anscombe, die beide zum katholischen Glauben übergetreten sind, sagte er einmal: ‚Ich könnte mich unmöglich dazu bringen, all die Dinge zu glauben, die sie glauben.’ Ich glaube, mit dieser Bemerkung wollte er nicht ihren Glauben abwerten. Es war vielmehr eine Bemerkung über seine eigenen Fähigkeiten.“ Sind Malcolms Überlegungen richtig, und ich glaube, wir haben jeden Grund, dies anzunehmen, dann zeigen sie zweierlei. Erstens, dass, den vielen Fehlinterpretationen Wittgensteins Bemerkungen zum Trotz, Wittgenstein nicht der Auffassung ist, dass Gläubige nicht andere Dinge glauben als Nichtgläubige. Zweitens, dass Wittgenstein die Ansicht vertritt, religiöser Glaube hänge in erster Linie von Charaktereigenschaften und nicht von einer Art intellektueller Zustimmung zu einer metaphysischen Theorie über eine ‚kosmologische’ Gottheit ab.
9783937262819
181-204
Parerga
Schönbaumsfeld, Genia
586652b5-20da-47cf-9719-4fc587dfa4e8
Nagl-Docekal, Herta
Wolfram, Friedrich
Schönbaumsfeld, Genia
586652b5-20da-47cf-9719-4fc587dfa4e8
Nagl-Docekal, Herta
Wolfram, Friedrich

Schönbaumsfeld, Genia (2008) Durch Worte, oder Welten, getrennt? Wittgensteins Verstaendnis religioeser Sprache. In, Nagl-Docekal, Herta and Wolfram, Friedrich (eds.) Jenseits der Saekularisierung. Berlin, Germany. Parerga, pp. 181-204.

Record type: Book Section

Abstract

In den Erinnerungen an Ludwig Wittgenstein schreibt Norman Malcolm: „Ich glaube, dass es Wittgenstein möglich war, auf Grund seines eigenen Charakters und seiner Erfahrungen, die Idee eines richtenden und erlösenden Gottes zu begreifen. Aber jede kosmologische Konzeption einer Gottheit, abgeleitet aus den Begriffen der Kausalität oder der Unendlichkeit, wäre ihm unerträglich gewesen. Er hatte keine Geduld mit ‚Existenzbeweisen’ Gottes und mit dem Versuch, die Religion auf Basis der Vernunft zu gründen. Als ich ihm einmal einen in diese Richtung gehenden Gedanken Kierkegaards zitierte – ‚Wie kann es sein, dass Christus nicht existiert, nachdem ich weiß, dass er mich gerettet hat?’ – sagte Wittgenstein: ‚Siehst Du! Es hat nichts mit Beweisen zu tun!’“ Malcolm fährt fort: „Ich habe den Eindruck, dass Wittgenstein den religiösen Glauben als etwas betrachtete, das Charaktereigenschaften und Tugenden erfordert, die er selbst nicht hatte. Über Smythies und Anscombe, die beide zum katholischen Glauben übergetreten sind, sagte er einmal: ‚Ich könnte mich unmöglich dazu bringen, all die Dinge zu glauben, die sie glauben.’ Ich glaube, mit dieser Bemerkung wollte er nicht ihren Glauben abwerten. Es war vielmehr eine Bemerkung über seine eigenen Fähigkeiten.“ Sind Malcolms Überlegungen richtig, und ich glaube, wir haben jeden Grund, dies anzunehmen, dann zeigen sie zweierlei. Erstens, dass, den vielen Fehlinterpretationen Wittgensteins Bemerkungen zum Trotz, Wittgenstein nicht der Auffassung ist, dass Gläubige nicht andere Dinge glauben als Nichtgläubige. Zweitens, dass Wittgenstein die Ansicht vertritt, religiöser Glaube hänge in erster Linie von Charaktereigenschaften und nicht von einer Art intellektueller Zustimmung zu einer metaphysischen Theorie über eine ‚kosmologische’ Gottheit ab.

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Published date: November 2008

Identifiers

Local EPrints ID: 80111
URI: http://eprints.soton.ac.uk/id/eprint/80111
ISBN: 9783937262819
PURE UUID: 59c5ed62-97c2-4482-8f08-81e4e5ba8137

Catalogue record

Date deposited: 24 Mar 2010
Last modified: 10 Dec 2021 17:37

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Contributors

Editor: Herta Nagl-Docekal
Editor: Friedrich Wolfram

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